Wie ticken sie, die Elsässer, unsere Nachbarn auf der
anderen Seite des Rheins, und warum? Das sind die beiden Fragen, die sich auch
Frédéric Hoffet stellte, seines Zeichens selbst Elsässer, evangelischer
Pfarrer, Autor und später auch Rechtsanwalt. Seine Berufe und Berufungen
eröffnetem ihm einen besonderen Blick auf seine Landsleute, deren Eigenarten
und Verhaltensweisen er nicht nur sich, sondern auch den Lesern innerhalb und außerhalb des Elsass zu
erklären sucht. Mit feinem Gespür für die elsässischen Befindlichkeiten hat er
Antworten gefunden: in der bewegten
Geschichte des oft umkämpften Landstrichs, im Umgang Frankreichs und
Deutschlands mit den Menschen, deren Heimat der im Wechsel eroberte Boden war,
in den kulturellen Einflüssen der Vergan-genheit, die heute noch sichtbar sind,
und in der elsässischen Psyche, die durch all das ihre besondere Prägung
erfuhr.
Schon
1951 in Frankreich erschienen, liegt dieses bedeutende Buch über das Elsass und
die Mentalität der Elsässer nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vor. Es
hat bis heute nichts vor seiner Aktualität
und Gültigkeit verloren. Zeitgleich mit der deutschen Ausgabe erscheint
es in Frankreich im September 2021
bereits in 10. Neuauflage.
Die
eigens zur ersten deutschen Ausgabe verfasste Einführung trägt den Titel „Wurzelkabarett Elsass“ und stammt
von Martin Graff, eben-falls Elsässer, der als erfolgreicher Autor,
Filmemacher, Kolumnist und Kabarettist einem breiten Publikum bekannt ist.
Mit 10
Illustrationen von Tomi Ungerer.
II. Psychoanalyse des Elsass
Schon wenn die Ursprünge eines Menschen zu vielschichtig
sind, wirft ihn das aus der Bahn. Daher entwickeln sich Kin-der von Eltern aus
unterschiedlichen sozialen Milieus selten harmonisch. So erklärt eine in
religiöser Hinsicht gemischte Herkunft jene zwar reichen, aber zögerlichen und
willensschwachen menschlichen Naturen, von denen André Gide
das frappierendste Beispiel ist.
Der
typischste Fall ist wohl der jener Menschen verschiedener Herkunft, deren
gemischte Abstammung alle möglichen Beeinträchtigungen mit sich bringt, die
sich auf psychischer Ebene niederschlagen. Diese Menschen, ob in den USA, in
Mexiko und in Südamerika oder in unseren Kolonien, werden meistens von
Komplexen geplagt, auch wenn sie häufig hochintelligent sind. Sie schwanken
ständig zwischen ihren beiden Wesensarten hin und her, wünschen sich inständig,
zur höheren der beiden zu gehören, und sind es doch nur zur Hälfte, während sie
nicht mehr ihrem Ursprungsvolk angehören, über dessen kulturelle Wirkungskraft
sie nicht mehr verfügen.
Natürlich kann
man höher entwickelte Völker nicht mit diesen Menschen vergleichen, die von
ihrer Ursprungsnation losgelöst sind. Und doch gibt es schweizerische „Erschwernisfälle“
charakterlicher Art, so wie es belgische „Erschwernisfälle“ gibt, so wie es
luxemburgische und kanadische „Erschwernisfälle“ gibt. Deren Wurzeln muss man
in den unterschied-lichen Gefühlen von Anziehung und Ablehnung suchen, welche
jeder Einzelne gegenüber den Völkern empfindet, zwischen denen er sich bewegt.
Indessen wurden
die Nachteile der gemischten Abstammung in diesen Ländern durch die Bildung
neuer nationaler Einheiten abgefedert. Ein schweizerischer „Typus“ existiert
ebenso wie ein belgischer „Typus“, ein luxemburgischer „Typus“ und ein
kanadischer „Typus“, da die ethnischen und kulturellen Eigenarten miteinander
verschmolzen sind.
Gewiss wäre es
im Elsass ebenso gekommen, wenn dieser Landstrich eine genügend lange Zeit der
Ruhe erlebt hätte, in der sich eine solche Entwicklung hätte vollziehen können.
So hätte sich ein elsässischer Mensch herausbilden können, der im Einklang mit
seiner Komplexität wäre. Doch die Geschichte ließ dies nicht zu. Die ständig
wechselnde Zugehörigkeit des Elsass hat die ursprünglichen Gegensätze noch
hervorgehoben und gar auf die Spitze getrieben und ließ so den Menschen nicht
einmal die Zeit, ihre Wunden zu lecken. Kaum war ein zerbrechliches
Gleichgewicht erreicht, brachte ein neuer Krieg die Probleme wieder zum
Vorschein, die man gelöst glaubte. Nicht nur, dass die Städte wieder zerstört
waren, nicht nur, dass man wieder einmal das Beste seines Besitzes verloren hatte:
Die Familien waren zerrissen, und man musste eine neue Sprache wiedererlernen,
während sich die Hand einer neuen Polizei auf die legte, die gehofft hatten,
etwas Frieden zu finden durch die Integration in eine Nation, die nun besiegt
worden war. Die elsässische Seele war ein weiteres Mal in die Wirrnis gestürzt:
Ihre Triebfedern waren gebrochen, ihre Wirtschaft im Chaos.
Nachdem
uns bewusst geworden ist, wie unterschiedlich die Elemente sind, die die
elsässische Psyche bedingen, gilt es nun zu untersuchen, wie die Elsässer auf
die Launen ihres beispiellosen Schicksals reagiert haben, welche Gefühle es bei
ihnen hervorgerufen hat, welche Komplexe es geschnürt hat, und wie es ihren
schwierigen Charakter und zugleich ihre unbestreitbare Klugheit erklärt.
Die
große Angst der Elsässer, das zu sein, was sie sind,
und ihre
Flucht vor der Dualität
Was geschah denn, wenn das Elsass einem anderen Land angegliedert
wurde?
Es ist oft
gesagt worden, dass diese Provinz stets auf der Seite des Siegers stand. In
Wahrheit stand sie genauso auf der Seite des Besiegten. Auf der einen Seite wurde
es von dem Land, das es annektierte, als ein Teil seiner selbst betrachtet, und
seine Einwohner wurden schlichtweg als Landsleute, die wieder heimkehrten,
gesehen. Andererseits sah das Land, das es verlor, im Elsass ein Stück seines
eigenen Fleisches und dachte traurig an alles zurück, was es in der
Vergangenheit mit ihm verbunden hatte.
Also waren die
Elsässer für die Deutschen, als sie das Elsass besetzten, nichts anderes als
Deutsche, deren Deutschsein zwar irgendwie in den Jahren der französischen „Besatzung“
gelitten hatte, die aber trotz allem Deutsche geblieben waren. Wenn dann die
Franzosen an der Reihe waren, diese Provinz zurückzuholen, betrachteten sie
deren Einwohner wohl zu Recht als unglückliche Landsleute, die ihrem Vaterland
zurückgegeben wurden. Sie täuschten sich jedoch, wenn sie in ihnen Bürger
sahen, die in allen Punkten den Provenzalen oder den Bewohnern der Dauphiné glichen,
die man beispielsweise Italien zugeschlagen hätte. Indem man so die Dualität
der Elsässer missachtete, leugnete man schlicht und ergreifend einen Teil ihres
Wesens.
Aber
was noch schlimmer war: Sie wurden sogar dazu gezwungen, sich auf diese Art selbst
zu verleugnen. In den schwierigsten Zeiten deutscher Herrschaft und ganz
besonders zwischen 1940 und 1945 konnte einem das geringste Anzeichen einer profranzösischen
Haltung ins Gefängnis bringen. War es in den französischen Epochen auch nicht
wie da, so beweist der bedauerliche Prozess von Colmar leider doch, dass unser
Land nicht immer seinen liberalen Traditionen treu blieb. Wenn ein Elsässer im
Ruf steht, ein Autonomist zu sein, ob zu Recht oder zu Unrecht, und dies in den
Polizeiakten vermerkt ist, kann das für ihn noch heute gravierende Folgen
haben. So kommt es, dass ein Elsässer nie er selbst sein kann. Er muss immer
eine Seite seines Wesens verbergen. Da er jederzeit über seine Vergangenheit
Rechenschaft ablegen muss, befindet er sich unablässig in der Situation jener
Franzosen, die irgendwie mit der Vichy-Regierung zu tun hatten. So war es auch
1918, als selbst die, die nie eine andere Herrschaft als die von Wilhelm II.
gekannt hatten, ihr Verhalten vor den „Auswahlkommissionen“ rechtfertigen
mussten. Als 1940 wieder die Deutschen ins Land kamen, musste man sich abermals
reinwaschen, und jeder sah sich gezwungen zu zeigen, dass er zwischen 1918 und
diesem Zeitpunkt so wenig französisch wie möglich gewesen war. 1945 wurde
wieder in der Gegenrichtung gesäubert. Es dürfte nun nachvollziehbar sein, dass derartige Wechselfälle, wie sie sich zwischen
1870 und 1945 viermal wiederholten, die Psyche der Elsässer tief durchdrungen
haben … Diese haben sich daran gewöhnt, jederzeit unter Verdacht zu stehen. Sie
wissen, dass ihnen alles, was sie tun, und alles, was sie sagen, eines Tages zu
ihren Ungunsten ausgelegt werden wird. Sie haben das Gefühl, dass sie nur zu
reden brauchen, zu schreiben, zu atmen, um ihren potenziellen Gegnern Waffen
gegen sich selbst zu liefern. Denn sie können sich nie des nächsten Tages
sicher sein. Sie wissen, dass die Herrscher kommen und gehen und dass sie
morgen wieder zu dem werden können, was sie gestern noch waren …
All dies hat
bei den Elsässern eine Furcht ausgelöst, die ihre Psyche beherrscht. Sie ist
der Schlüssel zu ihrer Unschlüssigkeit, ihrem Schweigen, ihren ebenso
unvermittelten wie unverständlichen Sinneswandeln. Diese Furcht ist sogar in
ihren am gleichgültigsten erscheinenden Äußerungen versteckt. Sie prägt ihre
verborgensten Haltungen. In ihr muss man die Erklärung für einige der
bedauerlichsten elsässischen Charakterzüge suchen, wie etwa die Feigheit. Es
ist diese erbärmliche, unendliche elsässische Feigheit, die einen Menschen, der
sich eben noch für die gerechteste Sache der Welt begeistert hat, dazu bringt,
diese Sache aufzugeben, ohne dass man seine Volte mit etwas anderem als der
Furcht, seine Einstellung könne auf irgendeine Art politisch interpretiert
werden, erklären kann. Man hat im Elsass beobachten können, und kann es noch
heute dort beobachten, dass Freunde sich von ihren besten Freunden abwenden,
Pfarrer oder Pastoren ihre Herde im Stich lassen, Anwälte die vornehmsten Fälle
ablehnen und Brüder ihre eigenen Brüder verleugnen, und alles nur, um sich
nicht gegen eine Autorität zu stellen, mit der aneinanderzugeraten man sich
fürchtet. So sehr hat diese Urangst, die durch die Wechselfälle der Geschichte
bei den Elsässern hervorgerufen wurde und die noch immer wie ein Reflex
vorhanden ist, obwohl sie durch nichts mehr rechtfertigt wird, die Menschen
erniedrigt und ihren Charakter abgestumpft.
Doch das ist
noch nicht alles!
Die Furcht der
Elsässer ist nicht bloß die Furcht vor den Gendarmen. Sie ist nicht nur die
Furcht vor einer äußerlichen Gewalt, die sie bedrohen würde. Sie ist auch und
überhaupt eine Furcht vor sich selbst.
Denn unter dem
Druck der Notwendigkeit, getrieben von den Bedürfnissen und oft auch vom
Verlangen, machen sich die Elsässer die Zwänge des Siegers zu eigen. Kaum sind
sie Deutsche geworden, wollen manche nie etwas anderes als deutsch gewesen
sein. Kaum sind sie Franzosen geworden, haben die meisten nur den einen Wunsch,
der darin besteht, französisch zu sein und immer nur französisch gewesen zu
sein. Jedoch stellen beide irgendwann fest, dass sie etwas daran hindert, ganz
deutsch oder ganz französisch zu sein. Sie verspüren in sich den Widerstand
jenes Teils ihrer selbst, durch den sie genau das sind, was sie nicht sein
wollen. Und sie gehen gar der Siegermacht zur Hand, um diesen Teil von ihnen,
diese unerwünschte und verhasste Hälfte ihrer selbst, zu ersticken, zu
verleugnen. Doch man geht nicht ungestraft gegen seine Natur vor. Etwas in
ihnen wird sie bald daran erinnern, dass ihr Wunsch eine Schimäre ist.
Besonders wenn sie Franzosen geworden sind und sie sich mit rührendem
patriotischem Eifer selbst einzureden versuchen, dass sie nichts von den anderen
Bürgern des Landes unterscheidet, bemerken sie plötzlich, dass sie weit weg
sind von dem, was sie gerne wären: Eine Bemerkung über ihren Akzent, ein
kränkender Hinweis auf ihre „ziemlich elsässische“ Art, Geschäfte anzugehen,
alle möglichen Enttäuschungen in Paris oder anderswo lassen sie spüren, dass
sie etwas anderes sind, als sie glauben. Meistens gestehen sie sich diese
Gefühle jedoch nicht selbst ein: Sie bezeichnen die Wesenszüge, die sie von den
anderen Franzosen unterscheiden, nicht als germanisch oder deutsch.
Sie leiden im Stillen. Sie schämen sich. Sie fürchten sich. Es ist die große
Furcht der Elsässer vor ihrer Dualität, ihre große Angst, zu sein, was sie
sind.
Aus
psychologischer Sicht ist diese Art der Angst viel interessanter als die vor
den Gendarmen. Denn während jene dort die Mutlosigkeit der Elsässer erklärt,
ist diese hier die Ursache eines Phänomens, dessen Folgen viel gravierender
sind: die Flucht des Menschen vor sich selbst.
Denn der Mensch
fürchtet sich vor seiner Angst. Er fürchtet den Grund seiner Angst, und so
flieht er vor diesem Grund bis ans Ende der Welt, so wie Kain vor dem Blick des
Allmächtigen floh. So fliehen die Elsässer vor dem Grund ihrer Angst, vor jenem
Teil ihrer selbst, der mal französisch, mal deutsch ist, von dem sie nichts
wissen wollen, vor ihrer Dualität. Sie verdrängen ihre Furcht ins
Unterbewusstsein, doch die Furcht zahlt es ihnen heim. Sie wird umso wirksamer,
je weniger man sie sich eingesteht. Sie tut ihr zerstörerisches Werk tief im Innern
des Menschen und bringt die Empfindsamkeit aus dem Gleichgewicht, leitet das
Urteilsvermögen in die Irre und macht die Ehrlichsten unfähig, die Wahrheit zu
sehen. Sie ist die Wurzel aller elsässischen Komplexe.
Die einfachste
Form dieser Flucht der Elsässer vor sich selbst besteht für sie darin, ihr Land
zu verlassen. Wie viele Elsässer haben nicht versucht, sich in milderen Breiten
niederzulassen, der ständigen Kämpfe überdrüssig, deren Schauplatz es war, und
bestrebt, ihren Kindern die selbst erlebte Zerrissenheit zu ersparen? Einige
empfindsame Menschen unter ihnen leiden unsäglich unter dem, was andere mit
Weisheit annehmen. Gewiss hängt der
Wunsch, einem überaus wechsel-haften und schwer erträglichen Schicksal zu
entgehen, mit der andauernden Auswanderung zusammen, die im Elsass zu neuen
Ländern und vor allem nach Amerika zu beobachten ist.
Andere Elsässer
begnügen sich damit, sich innerhalb eines der Länder, die sich um das Elsass
streiten, niederzulassen. Während die Auswanderung nach Deutschland schon immer
schwach war, ist die nach den anderen französischen Departements eine fast
permanente Erscheinung. Festzustellen ist auch, dass von den 300.000 Elsässern,
die 1940 in den Südwesten Frankreichs evakuiert wurden, etwa 20.000 nicht in
ihre Heimat zurückgekehrt sind. Und es waren nicht nur praktische oder
geschäftliche Gründe, die ganze Familien dazu bewegten, endgültig in den
entlegenen Gebieten der Dordogne, des Puy-de-Dôme oder Südfrankreichs zu
bleiben. Bei den meisten Elsässern, für die eigentlich die Heimkehr hätte
Priorität haben sollen, zeigte sich ein anderes Motiv: „Wir haben genug davon“,
empörten sie sich, „pausenlos Herrschaft, Sprache und Land zu wechseln! Wir
wollen nicht, dass unsere Kinder wieder dieselben Erfahrungen machen müssen!“
Kann sein, dass die wenigen Elsässer, die sich nach der Befreiung dafür entschieden,
im doch der Not ausgesetzten Deutschland zu bleiben, in dieser Beziehung ihren
in Frankreich gebliebenen Landsleuten glichen. Sie entflohen wie diese ihrem
Schicksal.
Doch das ist
nur die auffälligste Form der Flucht. Der Mensch ist ein so bewundernswert
organisiertes Tier, dass er der Wirklichkeit entfliehen kann, ohne sich von der
Stelle zu bewegen. Die Intelligenz, die nur von wenigen für die Suche nach
Wahrheit genutzt wird, versteht es, sich den menschlichen Neigungen anzudienen,
um die Wahrheit den momentanen Bedürfnissen und Sorgen entsprechend zu
verändern. Es gibt da geistige Formen der Flucht, die ebenso wirksam sind wie
eine Auswanderung, die oft nicht möglich ist.
Von diesen
findet man ein frappierendes Beispiel bei den Juden in den westlichen Ländern.
Wie die Elsässer leiden sie an einem veritablen „Dualitätskomplex“ und ertragen
es nicht, unablässig zerrissen zu werden zwischen ihren jüdischen Traditionen
und jenen, die zu ihren Traditionen geworden sind, hin- und hergerissen zu
werden, weil sie eben seit Generationen Franzosen, Engländer oder Deutsche
sind. Man kann beobachten, wie sie mit Eifer aufzeigen wollen, dass sie nichts
von ihren christlichen Landsleuten trennt. Sie leugnen so die Rolle und gar die
schiere Existenz der Volksgruppe, zu der sie gehören, und betrachten jegliche
Anspielung darauf als ehrenrührig, obwohl sie die älteste und ehrwürdigste der
Welt ist.
Bei vielen Elsässern begegnen wir einem ähnlichen Sachverhalt.
Er ist nicht nur typisch für jene Sorte von „Hyperpatrioten“, von Chauvinisten,
deren ganz besondere Psyche wir gesondert untersuchen müssen, nein, er hat bei
weiten Kreisen der Bevölkerung zu so tief verwurzelten und kritikabweisenden
Haltungen geführt, dass man kein Gehör findet, wenn man versucht, diese
unbewussten Wurzeln freizulegen.
Die große
Furcht davor, zu sein, was sie sind, hat die Elsässer dazu gebracht, ein ganzes
System an „Tabus“ zu errichten, mit denen sie die Wahrheiten bekämpfen, die sie
verunsichern, das Offensichtliche, das sie kränkt.
Erinnern Sie
mal einen Straßburger oder Mülhausener Bürger daran, dass seine Großmutter
württembergischer Abstammung war: Sie werden sofort auf eisiges Schweigen
stoßen, wenn er nicht entgegnet, dass das nicht stimmt, dass sie die meiste
Zeit ihres Lebens im Elsass verbracht hat und dass sie nur für wenige Monate in
Stuttgart oder Tübingen war, während Sie wissen, dass sie dort geboren wurde
und gestorben ist. Und darauf hinzuweisen, dass er deutscher Soldat gewesen ist
und sich gar einmal damit brüstete, Offizier in einem preußischen Regiment
gewesen zu sein und das Eiserne Kreuz erhalten zu haben, ist gänzlich
undenkbar. Aber hüten Sie sich ganz besonders davor, von seinem Akzent Notiz zu
nehmen! Es gibt keinen Bereich, in dem er empfindlicher ist! Er würde es Ihnen
weniger übelnehmen, wenn sie seine Mutter getötet hätten, als wenn Sie die
Germanismen bemerkten, mit denen seine Rede noch immer gespickt ist, oder auf
seine fremdartige Sprachmelodie hinwiesen.
Auch wenn es
sich hier um durchaus nachvollziehbare Tabus handelt, die die volle Nachsicht
derer verdienen, die die Tragödie unserer Provinz begriffen haben, ändert sich
das, wenn die Furcht des Elsässers, zu sein, was er ist, von seinem Geist
Besitz ergreift.
Wir haben
bereits auf die Verbote hingewiesen, die dem Dialekt anhängen. Welchen
Erfindungsreichtum hat man nicht aufgebracht, um zu beweisen, dass dieser
nichts mit dem Deutschen zu tun hat! Um festzulegen, dass die Elsässer nicht
zur „germanischen Rasse“ gehören, haben andere Wissenschaftler ganze Bücher
voller Thesen geschrieben, bei denen man sich fragen kann, ob sie von
Kabarettisten stammen! Einer von ihnen ließ einmal Schädelvermessungen
durchführen und kam zu der Schlussfolgerung, dass die Elsässer Rundschädel
hätten und deswegen mit den Arvernern verwandte Kelten seien. Es
gibt kein historisches oder kulturelles Thema, bei dem die Elsässer nicht
versucht hätten, mit ähnlichen Absurditäten nachzuweisen, dass sie nichts von
den anderen Franzosen unterscheidet.
Ein solches
System an Verboten, das es fertigbringt, bei zivilisierten Menschen den
Realitätssinn zu verändern, und sie unfähig macht, objektiv zu urteilen, sobald
ihre Komplexe ins Spiel kommen, ist symptomatisch für ein seelisches Ungleichgewicht.
Es zeigt die starke Wirkung des ihm zugrundeliegenden Gefühls: der Angst!
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