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Franktišek Emmert
Tschechen in der deutschen Wehrmacht
 

 ISBN 978-3-88571-395-1
324 Seiten, 46 Abbildungen, 14,0 x 21,0 cm
Euro 29,80

 

 

 

Auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist manches Kapitel seiner Geschichte noch nicht geschrieben. Die Einberufung von Tschechen in die deutsche Wehrmacht gehört dazu. Nur wenigen Experten ist diese Tatsache überhaupt bekannt. In der breiten Bevölkerung, selbst in Tschechien, ist sie weitgehend vergessen.

 

Die Eingezogenen kamen aus zwei kleinen Territorien im polnisch-tschechischen Grenzgebiet: aus Teschen und dem Hultschiner Ländchen. Beide gehörten seit Oktober 1938 bzw. Oktober 1939 zum Deutschen Reich. Damit galt für ihre männlichen Einwohner die deutsche Wehrpflicht.

 

Nach dem Krieg wurden diese Soldaten von den tschechischen Landsleuten und Offiziellen als Verräter diffamiert, ihre Schicksale wurden mit dem Mantel des Schweigens bedeckt und dem Vergessen anheimgegeben. Die Betroffenen hingegen, von denen einige noch am Leben sind, sahen und sehen sich als „zwangsgermanisiert“ und „zwangsrekrutiert“.

 

Nun endlich finden sie späte Anerkennung als wertvolle Zeitzeugen. Sie wenden sich gegen das Vergessen. Acht von ihnen schildern ihre Erlebnisse an den unterschiedlichsten Kriegsschauplätzen und in allen Waffengattungen in diesem Buch. Es versteht sich als Beitrag zur Aufarbeitung eines leidvollen Abschnitts der gemeinsamen europäischen Geschichte und zur Vertiefung der deutsch-tschechischen Freundschaft und Zusammenarbeit.

 

Kompakte Darstellungen historischer Fakten, die einen Überblick über die geschichtliche, politische und demographische Entwicklung der beiden betroffenen Regionen geben, ergänzen das Werk.

 

Eine Einführung von Prof. Dr. Bernd Martin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Breisgau, stellt die Berichte der einzelnen Zeitzeugen in den größeren historischen, historiografischen und methodischen Kontext.

 

Herausgegeben mit freundlicher Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.

 

 

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Leseprobe: Tschechen in der deutschen Wehrmacht, S. 105–110

 

Flugzeuge habe ich schon als Fünfjähriger geflogen. Ich habe Modelle von Doppeldeckern aus dem Ersten Weltkrieg zusammengeklebt. Dazu brauchte ich nicht viel. Sperrholz, Pappe, Kleber und Farbe. Mit Begeisterung habe ich die Abenteuer der Kriegspiloten und der Sportflieger gelesen und habe sie aus Zeitungen und Zeitschriften ausgeschnitten. Ich verfolgte die Erfolge der damaligen Flugpioniere und träumte davon, dass ich einmal den Atlantik, die Sahara oder sogar den Nordpol überfliegen werde. Im Schulatlas habe ich mit roter Tinte die Flugstrecken meiner künftigen Flüge eingezeichnet. Ich konnte die Flugstrecke und den Verbrauch berechnen. Einzelne Abschnitte habe ich schließlich mit Angaben über die vorhergesagte Lufttemperatur und die angepeilte Höhe über dem Meeresspiegel sowie die Windstärke ergänzt. Das wurde später mein Schicksal.

      Am meisten bewunderte ich dabei die sowjetischen Flieger und die sowjetische Technik. Ein wenig hing das mit der Erziehung zu Hause zusammen. Über die Sowjetunion wurde nämlich bei uns überwiegend positiv gesprochen. Die Eltern waren zwar keine Mitglieder in der Kom-munistischen Partei, sympathisierten aber mit ihrem Programm und ge-hörten zu ihren Stammwählern. Mein Vater arbeitete als Fabrikarbeiter und musste von seinem bescheidenen Lohn vier Kinder ernähren. Als in den Dreißigerjahren die große Wirtschaftskrise kam, verlor er seine Arbeit und beide Eltern waren einige Jahre arbeitslos. Wir lebten in großer Not, ähnlich wie die Mehrheit aller Arbeiterfamilien um uns herum. 

 

Der naive Glaube an die Sowjetunion

 

Über die Sowjetunion erzählte man damals unter den einfachen Leuten, dass dort jeder Arbeit und Brot habe und dass die Wissenschaft dort mit erstaunlichem Tempo voranschreite. Diese Illusion belebten in der Öffentlichkeit auch linksgerichtete Intellektuelle, die erhebliche Publizität in der Presse bekamen. Die besuchten die Sowjetunion und schrieben darüber meistens nur in reinen Superlativen. In der Zeit der großen Unsicherheit und Not mussten die Leute zwangsläufig den Illusionen glauben, dass es sich „irgendwo“ – am besten „bei den slawischen Brüdern im Osten“ – erträglicher lebt und dass auch sie sich schon bald „über etwas freuen könnten“. 

      In den Zeitungen wurde zwar von der Hungersnot in der Ukraine, von den Moskauer Monsterprozessen[1] und vom politischen Terror geschrieben, doch eine Reihe von Arbeitern und Intellektuellen weigerte sich, das zu glauben. Wir hielten das nur für „bourgeoise Propaganda“ und verleumderisches Geschwätz. Dem Kommunismus gegenüber kritisch waren nur die Leute auf dem Land, die Gewerbetreibenden und selbstverständlich die Gläubigen. Die Übrigen waren von ihm entweder begeistert oder sie betrachteten ihn als einzige mögliche Alternative. Das ist eine historische Tatsache. Viele Tschechen glaubten damals naiv an die Sowjetunion. Ich denke, dass auch im Jahr 1948 die meisten die angetretene kommunistische Regierung zumindest tolerierten. 

      In Heften, die ich unter der Schulbank versteckt hatte, habe ich in diesen Jahren über eine der damaligen Neuheiten in Russland gelesen: das Fallschirmspringen. Ich träumte davon, mir Russland einmal anzusehen. Ich würde über die Taiga fliegen und am 1. Mai springe ich mit dem Fallschirm am Roten Platz ab, um Stalin die Hand drücken zu können. Diese Träume – Flüge über der Sowjetunion – erfüllten sich mir ein paar Jahre später tatsächlich. Aber unter ganz anderen Umständen, als ich mir das als Junge vorgestellt hatte. Nach Russland kam ich, um dort anderen deutschen Flugzeugen Deckung zu geben, die Bomben über russischen Stellungen abwarfen.

Meine militärische Karriere begann aber im Jahr 1938 bei einem Artillerieregiment der tschechoslowakischen Armee in České Budějovice (Bud-weis). Ich kümmerte mich dort um die Pferde, durchlief eine Schützenausbildung und fungierte als Hornist. Ich hatte nämlich zu Hause in einer Wirtshauskapelle Flügelhorn gespielt, was mir auch in der Armee zugefallen ist, und so habe ich ein militäreigenes Horn bekommen. In der Kaserne habe ich dann beim Antreten auf dem Horn geblasen. 

      Den Militärdienst fassten junge Männer damals anders auf als unter dem Sozialismus oder in den Neunzigerjahren. Keine Schikane und keine Langeweile, etwas Derartiges existierte damals nicht. In der Armee hatten wir gute Verpflegung und kostenlose ärztliche Behandlung garantiert, und ich denke, dass ich da nicht nur für mich selbst spreche, wenn ich sage, dass uns der Militärdienst Spaß machte. Feldtelefone, LKWs, Schießen auf Holzscheiben, das alles war für uns etwas Neues und es war für uns mehr eine Unterhaltung als eine Pflicht. Und außerdem herrschte damals ein viel größerer patriotischer Geist. Den Dienst nahmen schließlich auch die Sudetendeutschen ernst. Vielleicht aus einem angeborenen Pflichtbewusstsein … Bei der Erfüllung der anvertrauten Aufgaben waren sie außerordentlich zuverlässige und aufopferungsvolle tschechoslowakische Soldaten – und zwar auch im Jahr 1938.

      Schon kurz nach meinem Dienstantritt beim militärischen Grundpräsenzdienst ging das Gerücht, dass Hitler nach Österreich seine Zähne auch schon für die Tschechoslowakei schärfe. Wir waren alle überzeugt, dass er sie sich an unseren Grenzbefestigungen ausbeißen würde.

      Als die allgemeine Mobilisierung verkündet wurde, erinnere ich mich, herrschte riesige Begeisterung. Aufrichtig. Alle wollten kämpfen. Sofern sich jemand fürchtete, musste er das vor den anderen lieber verschweigen. Es war nicht die richtige Zeit für mündliche Feigheitsbezeugungen. Auch im Jahr 1968 herrschte eine so fantastische Atmosphäre wie damals. Wir waren überzeugt, dass eine ganze Reihe von uns sterben würde, und vielleicht würden das auch gerade wir selbst sein, aber trotzdem waren wir uns sicher, dass wir das für unsere Nation und für unsere Republik machen würden. Vor allem wir Jungen waren bereit, mit vollem Einsatz zu kämpfen.

 

Die Mobilisierung 1938: Tschechen und Deutsche gemeinsam

 

Im September verlegten wir mit unserer Artillerieeinheit von České Budějovice auf die Höhen des Böhmerwaldes. Als Feldartillerie nahmen wir Stellungen erst auf einer Linie einige Kilometer hinter den Befestigungen ein. Wir hatten die Aufgabe, einzugreifen, falls es der Wehrmacht gelingen sollte, über den Befestigungsstreifen vorzudringen. Man plante damit, dass, falls die Deutschen durchbrechen sollten, in ihrem Rücken noch Befestigungen blieben, die von unseren Soldaten weiter verteidigt würden. Wir erhielten genaue und detaillierte Instruktionen, aus welcher Richtung der deutsche Angriff auf unsere Stellungen zu erwarten war und auf welche Weise wir reagieren sollten. Ziel war es, die Deutschen unter Kreuzfeuer von vorne und von beiden Flanken zu bekommen.

      Unsere Einheit bestand überwiegend aus Jungs aus tschechischen Ge-bieten, tschechischer und deutscher Nationalität. Die Sudetendeutschen bildeten in unserer Einheit etwa ein Drittel der Mannschaft. Bis heute habe ich keine Ahnung, was sie über die damalige Situation wirklich dachten, aber wie allgemein bekannt ist, kamen fast alle den Einberufungsbefehlen nach und traten mustergültig den Dienst in der tschechoslowakischen Armee an, die sich gerade anschickte, gegen Deutschland zu kämpfen. Unter ihnen waren eine Menge guter Leute, die sich uns gegenüber als Kameraden verhielten. Wir schliefen gemeinsam auf einer Stube, spielten Karten, teilten unsere Zigaretten und die Seife, man konnte mit ihnen über alles reden. Sie lachten über unsere Hitlerwitze oder erzählten selber welche. Umso überraschender war es für mich, mit welcher Freude sie ein paar Tage später ihre Waffen wegwarfen und mit Begeisterung fortliefen, um die Wehrmacht zu begrüßen. Ich begriff, dass dies ihre wahre Armee war, und nicht die unsere.

Aber nicht alle waren so. Einige reagierten auf die Nachricht von der Räumung der Befestigungen und dem Rückzug ins Hinterland mit Tränen in den Augen, ähnlich wie die Mehrheit der Tschechen. Es waren unter ihnen auch ausgesprochene Fanatiker, hauptsächlich Kommunisten und Sozialdemokraten. Andere wiederum reagierten wie Automaten, an denen man das Programm wechselt: zu den Waffen für die Tschechoslowakei, Waffen nieder, mit Hurra in die Wehrmacht … Alles machten sie mit maximalem Einsatz, wie man es ihnen befahl. Von manchen Sudetendeutschen haben wir schon während der Mobilisierung vermutet, dass sie insgeheim Nazis sind und dass sie uns hassen. Sie bemühten sich zwar, sich loyal zu geben, paktierten aber nur untereinander, und es ging Angst von ihnen aus. Wir glaubten, dass sie in der Lage wären, uns bei der ersten sich bietenden Gelegenheit den Dolch in den Rücken zu stoßen. 

      Im Allgemeinen kann man sagen, dass wir von den Sudetendeutschen in tschechoslowakischer Uniform unterschiedliche Eindrücke hatten. Einige schienen zuverlässig zu sein, waren es in Wahrheit aber nicht, andere standen fest an unserer Seite und wieder andere waren feindselig eingestellt. Aber Ungarn, Ruthenen[2] und schließlich auch die Slowaken, das war eine andere Angelegenheit! Ich weiß nicht, wie das anderswo war, aber die, die ich während der Mobilisierung kennenlernte, hatten an der Verteidigung irgendeiner für sie fremden Tschechoslowakei einfach kein Interesse. Ein Slowake zum Beispiel schrie ständig herum, dass er „doch nicht für fremde Herren sterben“ werde. Die Ungarn benahmen sich hochnäsig und sprachen nur unter ihresgleichen miteinander. Gab man einem von ihnen einen Befehl, spielten sie den tölpelhaften Analphabeten. Sie führten sich auf, als kapierten und wüssten sie von nichts. Ein Gespräch mit ihnen gab es nicht. Ich denke, sie konnten uns nicht leiden. Möglicherweise fühlten sich viele Ungarn und Slowaken in unserer Armee ähnlich, wie sich unsere Väter im  Ersten Weltkrieg in der österreichischen Armee gefühlt hatten. Selbstverständlich kann ich nur die beurteilen, die ich selbst kennengelernt habe. Ich kann kein generelles Urteil über sie abgeben und ich weiß nicht, wie die Erfahrungen mit ihnen in anderen Einheiten waren. Bei uns war auch ein Rumäne aus der Karpato-Ukraine, und der war wie-derum ein ausgemachter Tschechoslowakist, obwohl er weder auf Tschechisch noch auf Slowakisch auch nur ein Wort verstand. Ähnlich republiktreu war auch ein Offizier russischer Nationalität aus der Nach-November-Emigration (nach der bolschewistischen Revolution in Russland im November 1917).



[1] Moskauer Prozesse. Vier in den Jahren 1936–1938 gegen angebliche Staatsfeinde geführte Prozesse, mithilfe derer Stalin sich möglicher politischer Konkurrenten und Widersacher entledigte. Ihnen fielen fast sämtliche Führungsfiguren der Oktoberrevolution von 1917 zum Opfer.

[2] Aus der Habsburgermonarchie stammender Begriff für die Ostslawen; auch als Russinen bezeichnet.